Biografieempfehlungen 2013

Biografieempfehlung des Monats Dezember 2013

Jana Simon: Sei dennoch unverzagt.

Jana Simon, Enkelin von Christa Wolf und Journalistin, interviewt ihre Großeltern und befragt sie zu ihrem Leben, ihren Einstellungen, Wertvorstellungen und Erfahrungen. So entsteht ein authentisches Portrait von CW (Christa Wolf) und ihrem Mann. Die Großeltern und Autoren beschreiben in ihren Antworten ihre Erfahrungen im Spannungsfeld der politischen Systeme Deutschlands, vor allem CW, wie sie in beiden Systemen immer wieder um einen eigenen Standpunkt bemüht waren, was natürlich angreifbar machte, da sie hüben wie drüben unbequeme Standpunkte vertreten hat. Sie beschreibt ihre persönliche Erfahrungen, Erinnerungen, Wertvorstellungen und Ideale sowie die Enttäuschung mit der DDR, beispielsweise im Prager Frühling, aber auch mit dem Deutschland nach der Wende. Von ihrer Enkelin kritisch hinterfragt, räumt sie auch persönliche Fehler und Irrtümer ein. Diese zeigt mit ihren Fragen und Kommentaren sowohl eine persönliche Bezogenheit, Wertschätzung und Respekt als auch Professionalität. So vermittelt das Buch zwischen privater und öffentlicher Person CW und ihres Lebensgefährten und beschreibt auch mehrere wichtige Jahrzehnte deutscher Geschichte aus einer persönlichen Perspektive. Empfohlen von G. Ritz-Schulte.

Biografieempfehlung für den Monat November 2013

Ralph Dutli: Soutines letzte Fahrt. Göttingen 2013

 

Im Jahre 1913 treffen drei in jeder Beziehung hungrige Maler im Künstlerparadies Paris ein: die beiden Schulfreunde Pinchas Krémègne und Chaim Soutine aus Smilowitschi bei Minsk sowie Michel Kikoine aus Wilna. 30 Jahre später wird Soutine, der als Jude untertauchen musste, unter fast konspirativen Umständen auf dem Friedhof Montparnasse beigesetzt. An seinem Grab stehen Pablo Picasso, Jean Cocteau und Max Jacob.

Am 06. August 1943 erleidet Soutine im kleinen Ort Chinon an der Loire, wo er sich versteckt hält, einen Durchbruch des Magengeschwürs. Seine letzte Gefährtin, Marie-Berthe Aurenche, ehemalige Muse und verlassene Geliebte des Malers Max Ernst, organisiert eine strapaziöse Fahrt im Leichenwagen. Auf zahlreichen Umwegen, um den ständigen Kontrollen zu entgehen, gelangen sie nach Paris. Dort wird er in einem kleinen Hospital behandelt und stirbt am 9. August während der Operation.

In seinem großartigen Roman nimmt der 1954 geborene Heidelberger Autor Ralph Dutli diese letzte Fahrt des Malers, dessen Bilder inzwischen seit dem berühmt gewordenen Ankauf durch den amerikanischen Pharmazeuten A.C. Barnes hoch gehandelt werden, zum Anlass, das Leben Soutines zu schildern. In seinen von Fieber und Morphiumgaben verursachten Fantasien imaginiert Soutine die Stationen und Begegnungen seines Lebens. Er erinnert seine Freundschaft mit Modigliani, seine Beziehung zur deutschen Jüdin Gerda Groth, genannt Garde, die mit Ausbruch des Krieges im Internierungslager Gurs verschwindet, oder mit der Jugendfreundin Deborah Melnik, die eine gemeinsame Tochter nach Paris mitbringt und die er brüsk zurückweist. Insbesondere erinnert er sein langjähriges Bemühen um künstlerische Anerkennung, die dazu führt, dass er zahlreiche seiner Bilder selbst zerstört. Ein Leben unter ständigen Schmerzen, ein lebenslanges Suchen und Ringen, vor allem mit sich selbst, dessen Bilanz lautet: Die einzige Erlösung gibt es nicht. Die einzige Lösung ist die Farbe. Empfohlen von Alfons Huckebrink

Die Biografieemmpfehlung für den Monat Oktober 2013

Elliot Aronson: Not by Chance alone. my Life as a Social Psychologist. New York: Basic Books (in englischer Sprache)

 

Elliot Aronson wurde 1932 in Massachusetts geboren und wuchs, nachdem seine Familie aufgrund der Weltwirtschaftskrise verarmt war, in den Slums in der Nähe von Boston auf. Er bezeichnet seine Kindheit sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus kultureller Sicht als arm. Seine Mutter war zwar stolz auf ihren Schulabschluss, jedoch sah er sie nie ein Buch lesen. Hunger und Streitereien aufgrund des Mangels zwischen seinen Eltern waren an der Tagesordnung. Er sieht sich selbst eher als durchschnittlichen, schüchternen Jungen, der zudem der Diskriminierung ausgesetzt ist, weil er Jude ist. Trotzdem konnte er die sich bietenden Gelegenheiten nutzen und sich selbst aus diesen Einschränkungen befreien. Als großes Glück bezeichnet er die Tatsache, dass seine Vorfahren vor dem ersten Weltkrieg nach Amerika ausgewandert sind. Als ein weiteres großes Glück beschreibt er seine Studienzeit, denn er ist eher zufällig und aus Mangel an Alternativen an genau die Hochschulen geraten, die den Impuls zu seiner bemerkenswerten Laufbahn als Sozialpsychologe geben sollten. Erst als er Stipendien zuerst in Brandeis (Maslow) und später in Wyslean (Festinger) erhält, wird er vom Virus der Sozialpsychologie infiziert, die von da an eng mit seinem Leben verwoben ist. Mit Maslow, Festinger und McClelland wurde er von Mentoren unterstützt, die zu den Größen in der wissenschaftlichen Psychologie gehören, so wie er selbst zu einer Größe mit allen drei großen wissenschaftlichen Auszeichungen geworden ist. Im Mittelpunkt seiner Theorien steht der Einfluss der Situation auf das Verhalten und Erleben einer Person, der meist unterschätzt, während der Einfluss der Persönlichkeit überschätzt werde. Empfohlen von Gudula Ritz-Schulte.

Biografieempfehlung für den Monat September 2013

Elfriede Brüning: Und außerdem war es mein Leben. DTV

Bereits vor einigen Jahren (1994) erschien die Autobiographie von Elfriede Brüning, der ältesten noch produktiven deutschen Schriftstellerin*, unter dem Titel: "Und außerdem war es mein Leben". Brüning wurde am 8. November 1910 in Berlin geboren und schildert ihr bewegtes Leben, das noch im Kaiserreich begann und über die Weimarer Republik, das Dritte Reich und die DDR bis in die neue Bundesrepublik reicht. Sie tritt dem Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller bei, überlebt auf dem Gut ihrer Schwiegereltern den Nationalsozialismus, engagiert sich beim Aufbau der DDR und sieht sich im Alter nach der Wende mit neuen Unsicherheiten konfrontiert. In ihrem Buch macht sie die Konflikte, Brüche und Enttäuschungen eines langen Lebensweges deutlich, zeigt auf, unter welchen Schwierigkeiten ihre zahlreichen Bücher entstanden und lässt den Leser aber auch teilhaben an ihren Freuden und Erfolgen. Ein wichtiges Augenmerk legt sie auch auf Auseinandersetzungen und Probleme, die mit ihrer Rolle als weibliche Schriftstellerin zu tun haben sowie darauf, wie es ihr gelang und mitunter auch nicht, künstlerische Ambitionen mit den Anforderungen als Mutter und später als Großmutter in Übereinstmmung zu bringen. Freimütig äußert sie sich über ihre Vorstellungen von Liebe, Sex und Familie. In jeder Hinsicht ein ehrliches und gut geschriebenes Werk, das gerade den Lesern aus den alten Bundesländern zu einigen Einsichten über den Alltag einer erfolgreichen und beliebten Autorin der DDR verhilft. Auch unter www.elfriede-bruening.de können Sie sich viele Informationen über Leben und Werk verschaffen. Dort gibt es auch Ausschnitte aus einem Dokumentarfilm, der z.Zt. über sie produziert wird.   Empfohlen von Alfons Huckebrink

*Nachtrag: Elfriede Brüning starb am 5. August 2014. 

Biografieempfehlung für den Monat August 2013

Thomas Buergenthal, Ein Glückskind

Der Autor ist renommierter Professor für Internationales Recht und Menschenrechte und war von 2000 bis 2010 amerikanischer Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Geboren wurde Thomas Buergenthal 1934 im slowakischen Lubochna. Mit dem "Glückskind" erzählt er endlich den Teil seiner Lebensgeschichte, der mit seiner Übersiedlung in die USA abschließt: "... mein zweites Leben begann, als mein Schiff am 4. Dezember 1951 in den Hafen von New York einlief."

Sein Vater hat kurz nach der Machtübergabe an Hitler Deutschland verlassen und in Lubochna ein Hotel eröffnet. Als die Nazis beginnen, Europa zu unterjochen, flieht die jüdische Familie nach Polen und lebt im Ghetto von Kielce, bis sie im August 1944 nach Auschwitz deportiert wird. Sein Vater stirbt dort, die Mutter sieht er ein einziges Mal im Lager. Der zehnjährige Thomas überlebt als eines der wenigen Kinder den Todesmarsch im eiskalten Winter 1944/45. Die Befreiung durch die Rote Armee erlebt er im KZ Sachsenhausen. Nach dem Aufenthalt in einem jüdischen Waisenhaus in Polen kommt es schließlich zum glücklichen Wiedersehen mit seiner Mutter in Göttingen.

An Autobiographien wie diesen, gerade wenn sie nüchtern sachlich und ganz ohne Bitternis notiert sind, erweist sich die erschütternde Kraft des Genres: "Ich hatte auch den Wunsch, meine Geschichte einem größeren Publikum zu präsentieren. [...] weil ich seit langem die Meinung hege, dass der Holocaust nicht gänzlich begriffen werden kann, wenn wir ihn nicht mit den Augen derer betrachten, die ihn durchlebten." Empfohlen von Alfons Huckebrink

Biografieempfehlung für den Monat Juli 2013

S. Lewitscharoff: Blumenberg. Suhrkamp-Verlag.

Sibylle Lewitscharoff bietet Ihren Lesern mit "Blumenberg" eine fiktive Biographie an, die sich vor allem der fragenden, lehrenden und schaffenden Persönlichkeit des beliebten Philosophen Blumenberg annimmt. Hans Blumenberg lehrte (1970-1985) an der Universität Münster und war so beliebt, dass zahlreiche Gäste aus der Münsteraner Bürgerschaft regelmäßig seinen Freitagnachmittags-Vorlesungen beiwohnten. Dabei ist ein imaginärer Löwe sein unerwarteter Gefährte, vielleicht Ausdruck seiner zunehmenden Weisheit und Lebendigkeit? Wer weiß? So spannend die inneren Monologe und Träume sowie die Dialoge mit dem Löwen auch sind, parallel werden die z.T. tragischen Biografien der Studenten und Schüler Blumenbergs skizziert, von denen Blumenberg jedoch nichts ahnt. Er hat sich aus dem Leben zurückgezogen und führt eine Nachtexistenz, in der er genussvoll seinen Gedanken und Fragen nachgeht. Interessant ist das biografische Detail, dass Blumenberg 1939 als einziger Schüler in Lübeck am Katharineum das Abitur mit Auszeichnung ablegte, aber wegen seiner jüdischen Herkunft keine staatliche Hochschule besuchen durfte. Viele später bekannt gewordene Männer und Frauen haben dieses Gymnsaium besucht; wer sich dafür interessiert, kann dies im Internet recherchieren. In Lewitscharoffs biografischem Roman sind hierzu wenig Fakten zu finden, höchstens Erinnerungsfetzen, die dem sinnierenden Philosophen durch den Kopf gehen. Empfohlen von Gudula Ritz-Schulte.

Biografieempfehlung für den Monat Juni 2013

Eric Kandel: Auf der Suche nach dem Gedächtnis. Die Entstehung der neuen Wissenschaft des Geistes. München: Pantheon, 2007

 

Eric Kandel beschreibt in diesem Buch nicht nur seine Lebensgeschichte, sondern auch wie eng diese mit seinem Forschungsgegenstand (dem Gedächtnis) und den damit verbundenen Entdeckungen verflochten ist. Darüber hinaus präsentiert er ein interessantes Stück Zeitgeschichte und Wissenschaftsgeschichte, das in die Gegenwart hineinreicht. Der spätere Nobelpreisträger Eric Kandel erinnert sich an seine Kindheit in Wien. Als 9 jähriger Junge musste er seine Eltern zurücklassen, als er mit seinem jüngeren Bruder 1939 vor den Nazis in die USA floh. Da er sehr positive Erinnerungen an die Stadt Wien hat, konstatiert er rückblickend, "dass die kulturelle Entwicklungsstufe einer Gesellschaft kein zuverlässiger Gradmesser für ihre Achtung vor dem menschlichen Leben" ist (S. 46). Glücklicherweise konnten seine Eltern nach einiger Zeit nachreisen und ihre Existenz in New York neu aufbauen. Die Anpassung an eine völlig neue Kultur, neue Sprache und ein neues Bildungssystem wird als schwierige Herausforderung dargestellt, die glänzend gemeistert wird. Seine Entwicklung vom Schüler,  Studenten, Doktoranden, Forscher und Nobelpreisträger wird derart beschrieben, dass die außergewöhnliche Neugier des Autors und seine hohe intrinsische Motivation beim Lesen ansteckend wirkt. Dabei wird das Autobiografische sowohl aus naturwissenschaftlicher Sicht, denn der Gegenstand ist ja das Gedächtnis, als auch aus geistes- und kulturwissenschaftlicher Sicht erklärt und gleichzeitig mit seiner persönlichen Biografie verknüpft, eine sicherlich sehr seltene Integration von Perspektiven und methodischen Zugängen, die inzwischen auch erfolgreich verfilmt worden ist. Empfohlen von Gudula Ritz-Schulte

Biografieempfehlung für den Monat Mai 2013

Frauke Geyken: Freya von Moltke. Ein Jahrhundertleben 1911-2010

 Das Buch stellt eine gut lesbare Würdigung von Freya von Moltke dar, die am 1.01.10 in Vermont (USA) im Alter von 98 Jahren verstarb. Sie stammt aus der Kölner Bankiersfamilie Deichmann, heiratet 1931 den späteren Widerstandskämpfer Helmuth James von Moltke, zieht auf das Gut Kreisau in Schlesien, ist eingeweiht in die Pläne einer Gruppe von Widerstandskämpfern, die später als Kreisauer Kreis bezeichnet wird, erlebt die Verhaftung ihres Mannes im Januar 44 und seine Hinrichtung ein Jahr später. Sie lebt nach dem Krieg in Südafrika, wo die Großeltern ihres Mannes gelebt haben. Später lernt sie in den USA den früheren Lehrer ihres Mannes kennen: den Professor Eugen Rosenstock-Huessy. Im September 1960, sie ist 49 Jahre alt und sollte noch weitere 49 Jahre leben, zieht sie zu Rosenstock- Huessy und heiratet ihn.

Eine gut lesbare, äußerst informative Biografie, die sich vor allem auch auseinandersetzt mit der Rolle der Frauen der Männer des 20. Juli und erklärt, warum ihr Wirken über eine lange Zeit hinweg kaum gewürdigt worden ist. Außerdem gibt es ein abschließendes Kapitel über das Neue Kreisau.

Empfohlen von Alfons Huckebrink

Biografieempfehlung des Monats April 2013

Andrea Camilleri: Der vertauschte Sohn.

Hier handelt es sich nicht um einen Kriminalroman, denn die meisten Leser werden Camilleri aus diesem Genre kennen. Camilleri schrieb diese Biografie des bekannten Nobelpreisträgers für Literatur (1934), Luigi Pirandello (1867-1936), der u.a. durch das moderne Stück "Sechs Personen suchen einen Autor" über die Verschmelzung von Theater, Fiktion und Lebensrealität schrieb. Theater, wie es das Leben schreibt.... Camilleri stammt aus dem gleichen Ort wie sein Kollege Pirandello, aus Porto Empedocle in der südsizilianischen Provinz Agrigent. Der kollegiale Blick auf den Künstler ist ungeschönt und beschreibt einfühlsam die Widrigkeiten des Lebens, z.B. die paranoide Erkrankung seiner Ehefrau während die Kinder noch nicht erwachsen sind. Pirandello hat sich schon früh der schreibenden Kunst verschrieben, sich dem väterlichen Schwefelgeschäft verweigert und sich bis kurz vor seines Vaters Tod als "vertauschter Sohn" betrachtet, der ähnlich wie das biblische Vorbild Moses in einer "fremden" Familie aufwuchs. Erst kurz vor dem Tod des Vaters erkennt er, dass er nicht der "vertauschte" Sohn ist, als der er sich immer gerne sehen wollte. Camilleri gelingt es, tragische Parallelen aus Pirandellos Biografie mit seinem dichterischen Werk deutlich zu machen. Empfohlen von Gudula Ritz-Schulte

Biografieempfehlung des Monats März 2013

Hermann Spix: Ich will in viele Leben schlüpfen. Eine Annäherung an den Schriftsteller Josef Ippers.

Ungestilltes Fernweh kann auch heute, im Zeitalter einer beinahe unbegrenzten Mobilität, einem Menschen schwer zusetzen und ihm auf das Gemüt schlagen. Einer verständnislosen Nachkriegsepoche allerdings blieb es vorbehalten, diese irritierende Wehmut auch als Krankheit (der Nerven) zu diagnostizieren. So wurde der Schriftsteller Josef Ippers (1932 – 1989), bekannt geworden durch sozialrealistische Romane wie „Am Kanthaken“ (1974), als Heranwachsender 1948 von einem Mediziner wegen „krankhaften Fernwehs“ zur stationären Beobachtung in die damalige Provinzial-Heilanstalt in Bonn eingewiesen. Nachdem er des Öfteren von zuhause ausgerissen war und sich in den Häfen von Neuss und Düsseldorf herumgetrieben hatte, konsultierte die allein erziehende Mutter ihren Arzt des Vertrauens. Zusätzlich erkannte dieser bei dem Jungen, der - bereits berüchtigt als schreibwütiger Autodidakt – eben das Manuskript eines mit deftigen erotischen Passagen reichlich ausgestatteten Romans fertiggestellt hatte, auf eine gefährliche Schreibsucht. Ippers litt dort schrecklich unter den gefängnisähnlichen Zuständen und erlebte ein körperliches und seelisches Martyrium: „Ich war der einzig Gesunde unter fünfzig Kranken.“ Seinem Freund und Kollegen Hermann Spix verdanken wir die erste, sehr lesenswerte biografische Skizze des unruhigen Geistes und Schriftstellers unter einem Titel, der gleich zur Maxime des ganzen Berufsstandes taugte: Ich will in viele Leben schlüpfen.

Von Alfons Huckebrink



Die Biografieempfehlung des Monats Februar 2013

Jonathan Franzen beschreibt in diesem autobiografischen Entwicklungsroman seine Zeit als Heranwachsender in den 60er und 70er Jahren in einer Kleinstadt in den Südstaaten der USA bis zu einem mittleren Lebensalter. Sehr schön der Wendpunkt, als er eine für sich heilsame Distanzierung von unerklärlichen und verunsichernden emotionalen Stimmungen entdeckt, "ich werde geschrieben"- seinen Weg zum Schriftsteller-Dasein und zu einer positiven Partnerschaft, aus der Unruhezone zu ruhigeren Gewässern. Besonders interessant ist der 2. Teil des Werkes, in dem er als Germanistik-Student die deutsche Literatur und den Einfluss, den sie auf ihn persönlich ausübte, aus amerikanischer Perspektive (und seiner persönlichen natürlich) beschreibt. Die zunehmende Selbstironie im 2. Teil ist sicher in Biografien eher selten, jedoch ein humorvoller und gleichwohl akzeptierender Blick auf eigene Schwächen. Ob mit "Unruhezone" der englische Titel "The discomfort zone" treffend übersetzt ist, darf angezweifelt werden, da "discomfort" umfassender und unspezifischer ist als "Unruhe"- eher ein unerklärliches Unwohlsein ausdrückt, was die jungen Jahre des Autors durchzieht.

Empfohlen von Gudula Ritz-Schulte

Die Biografieempfehlung des Monats Januar 2013

Ayaan Hirsi Ali: Mein Leben, meine Freiheit

Ayaan Hirsi Ali beschreibt ihr Leben von der Kindheit in Somalia, Kenia und Saudi Arabien, den Einflüssen des traditionelles Stammesdenkens und des Islam auf ihre Entwicklung bis zur späteren Immigration in die Niederlande. Sie floh vor einer von ihrem Vater vereinbarten Ehe. Sie beschreibt ihre Emanzipation von einem traditionellen Islam, der die Rechte von Frauen und Kindern missachtet, zu einer engagierten und selbstbewussten Frau und Politikerin, Autorin und Islamkritikerin. Ihr Freund und Kollege Theo van Gogh wurde aufgrund eines gemeinsam veröffentlichten, islamkritischen Films ermordet. Sie selbst wird mit dem Tode bedroht. So erlebt die westliche Gesellschaft an ihrem Beispiel genau das, was sie selbst thematisiert hat: Dass der kulturelle Relativismus so weit geht, dass man selbst in einem aufgeklärten Land wie Holland nicht mehr sagen, geschweige denn schreiben darf, was man will.

Empfohlen von Gudula Ritz-Schulte