Fundsachen

Zitate

Das eigentliche Gedächtnis, höher genommen, besteht, glaube ich, auch nur in einer sehr lebendigen, regsamen Phantasie, die jedes Bild der Vergangenheit mit allen individuellen Farben und allen zufälligen Eigenheiten im Moment der Anregung hervorzuheben vermag. Wenigstens hörte ich dies von einem meiner gewesenen Herren behaupten, der ein erstaunliches Gedächtnis hatte, unerachtet er selten Namen und Jahreszahlen behielt. E.T.A. Hoffmann

 

Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Lukas 9,62

 

Der Sprung der Fantasie war das Entscheidende und nicht das Quellenmaterial aus dem wahren Leben: Um die berühmte Unterscheidung von Lévi-Strauss anzuführen, nicht das Rohe, sondern das Gekochte zählt. Und das ist es, was ich letztendlich verteidige: die Kochkunst. Die Freude am Kochen. Salman Rushdie

 

Ich habe auf alles gehört und nichts befolgt. Thomas Bernhard

 

Doch fragt mich nun einer, bevor ich schließe, gesetzt, er sei mir bis zu diesem Punkt gefolgt [...], wozu denn diese Reise, so antworte ich, des Reisens wegen; und fragt er, was ist dein Standpunkt, so antworte ich, der eines Reisenden. Friedrich Dürrenmatt

 

Die Sinnlosigkeit des Erlebten in dem Moment, in dem man es erlebt, vervielfacht die Möglichkeiten des Schreibens. Annie Ernaux

 

In dem Moment, wo wir die möglichen Alternativen zu unserer Sicht auf Leben und Welt außer Acht lassen, werden wir zu Ideologen, ob wir damit lediglich unsere eigene Welt beschneiden oder einen Teil der Welt verwüsten. Brigitte Kronauer

 

Rundherum, soweit ich sehe, placken die Leute sich ab, normal zu sein. Das frißt einen Haufen Energie. Susan Sontag

 

Es ist schwer, zwischen einfacher Unwissenheit und Konfusion zu unterscheiden, das heißt, zwischen bloßer Unkenntnis der Fakten und dem Zustand derjenigen, die ohne ausreichendes geistiges Training unter der unaufhörlichen Einwirkung der Massenmedien und Propaganda durchdrehen und nicht wissen, was sie von den Tatsachen halten sollen. Konfusion scheint die Folge von Unwissenheit zu sein: es ist, als ob diejenigen, die nichts wissen, sich aber irgendwie auf Grund vager Ideen über die Erfordernisse von Demokratie zu politischen Meinungen verpflichtet fühlen, sich mit skurrilen Denkmanieren helfen und zuweilen mit regelrechtem Bluff. Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter. (1949/50)

 

Er war unter einem "üblen Stern" auf die Welt gekommen, hatte von der Milch der Obskurität getrunken, Klopse aus hartem Fleisch verzehrt und gelernt, daß man alle Verluste wettmachen kann, nur keine Geldverluste. Kaufleute können ehremhafte Pleiten machen, Literaten nur in Situationen niederer Komik zugrundegehen. Augustina Bessa-Luis

 

Jeder große Mann hat heutzutage seine Jünger, und stets ist es Judas, der die Biografie schreibt. Oscar Wilde

 

Das Thema des Menschen ist der Mensch selbst. An uns ist es, dass wir uns dem Thema, das wir selber sind, aus der Zerstreuung zurückgewinnen. Werden wir? Wolfgang Fritz Haug

 

Mit zunehmendem Alter vermindert sich die Fähigkeit, sich grässliche Dinge anhören zu können. Anthony Powell

 

Ich habe zwar das, was man offenbar eine Aufsteigerbiografie nennt, aber ich hatte nie das Gefühl, ein schwieriges Leben zu haben. Oft werden solche Geschichten seltsam romantisiert: Schaut her, die Mutter war Putzfrau, der Junge ist Bundeskanzler. Ich habe mein Leben nie als romantisch empfunden. Kirsten Boie

 

Die ich mit zwölf war, die bin ich noch heute. Jane Birkin

 

Reist man in die Vergangenheit, so kann man entweder am festgesetzten Ort oder zur festgesetzten Zeit ankommen. Beides gleichzeitig zu realisieren ist im Prinzip unmöglich. Grundlagen der Temporalica im Jahre 2023. Dmitri Belenkin

 

Es ist Zeit, diese ruhmreichen Erinnerungen zu verlassen, in deren Gefolge nur die bleiche Milchstraße ewigen Bedauerns zurückbleibt. Lautréamont

 

Erinnerung ist Beschwörung, und wirksame Beschwörung ist Hexerei. Ich bin ja nicht gläubig, sondern nur abergläubisch. Ich sage manchmal als Scherz, doch es stimmt, daß ich nicht an Gott glaub, aber an Gespenster schon. Um mit Gespenstern umzugehen, muß man sie ködern mit Fleisch der Gegenwart. Ruth Klüger

 

Die deutschen Romanciers vollbringen nur die kleinstmögliche Anzahl an Romanen, die Dichter, die Tragiker nur Spuren von Versen, Ahnungen von Tragödien; sie sind alle nur darauf bedacht, das erstaunliche Leben von Romanciers oder Dichtern zu führen, nutzen das Jahrhundert, das sich ihnen bietet, stapeln, dank Kriegen, Revolutionen, Siegen und Niederlagen, statt Bänden die Zeugnisse ihres Gesinnungswandels und wechseln die Kontinente öfter als Goethe die Stockwerke. So kommt es, daß die Biographien der deutschen Künstler heute allesamt unendlich viel spannender sind als ihre Werke, vorausgesetzt, daß es solche überhaupt gibt. Jean Giraudoux

 

I'm continually reinventing my own past, it is not static. Derek Jarman

 

EBEN JETZT

Wann kommen wir denn an uns selber näher heraus? Kommt man im Bett zu sich oder reisend oder zu Hause, wo uns manches wieder besser scheint? Jeder kennt doch das Gefühl, in seinem bewußten Leben etwas vergessen zu haben, das nicht mitkam und klar wurde. Deshalb erscheint auch oft so bedeutend, was man eben jetzt sagen wollte und einem entfallen ist, Und verläßt man ein Zimmer, in dem man länger gewohnt hat, so sieht man sich sonderbar um, bevor man geht. Auch hier blieb noch etwas zurück, auf das man nicht kam. Man nimmt es mit und fängt woanders damit an. Ernst Bloch

 

Das Hier und Jetzt zerrann immer vor einem Traum, dessen Anfang auf mich zukam oder dessen Ende gerade entschwand. Ich mußte zwanzig werden, ehe ich lernte, fünfzehn zu sein, dreißig, ehe ich wußte, was es heißt, zwanzig zu sein, und heute, mit zweiundsiebzig, muß ich mich zwingen aufzuhören, wie ein Mann von fünfzig zu denken, der noch viele Jahre vor sich hat. Arthur Miller

 

La mémoire, quel cimetière. Blaise Cendrars

 

Erinnerungen sind nicht unzuverlässiger als alles andere, was wir uns ausmalen. Robert Menasse

 

Ich möchte, daß die Willfährigkeit gegenüber den Erinnerungen, die ich genauso gut wie jeder andere zuweilen aufkommen lasse, von den Seiten fern bleibe. Der Zufall hat aus diesen Jahren meiner Kindheit und Jugend eine Fundstätte gemacht, aus der das Leben Kapital geschlagen hat, einen ständig abrufbaren Reichtum, den ich nach Belieben verschwende, ohne mich deshalb jemals ärmer zu fühlen. Julien Gracq

 

Niemals werden wir den Eigenheiten, Grausamkeiten, Aufwallungen, Verwundungen und der Schönheit dieses mit drei Händen spielenden Kindes, das uns so nahe steht, genügend Aufmerksamkeit schenken können: Es heißt Gegenwart. René Char

 

Die leichteste Weise der Existenz ist in der Kunst. Bertolt Brecht

 

Wenn man eine Künstlerin sein will, wie ich das will, ist jeder Sieg über die ungerechte Welt ein Sieg über die Qual, sich in die Enge getrieben zu fühlen. Für mich ist das die Erprobung meines Menschseins, der ich mich mit meiner gesamten Person stellen möchte; in dieser Koinzidenz sehe ich auch mein Lebensschicksal. Yayoi Kusama

 

Ein Faktum unseres Lebens gilt nicht, insofern es wahr ist, sondern insofern es etwas zu bedeuten hatte. Johann Wolfgang v. Goethe

 

Eine Reise kann Lebensgeschichte schreiben. Robert Louis Stevenson

 

The life we have is very great. Emily Dickinson

 

Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Martin Buber

 

Man kann nicht sofort losschreiben und den Stoff seines Lebens in ein Buch verwandeln - ein häufiger Fehler von Berufsschriftstellern. Ich war ein Mensch, der langsam reifte, ich hatte keine Angst vor dem Lauf der Zeit, irgendetwas gab mir Sicherheit, dass mein Leben erst in der zweiten Hälfte seine ganze Fruchtbarkeit erlangen werde. Claude Lanzmann

 

Die Selbstverfesselung ist meine Not, aber auch mein Reichtum, vor allem Garant für Authentizität. Glaubwürdigkeit. Existenzialität. Das Leben schreiben ist die generelle Aussicht, es ist zunächst mein Leben. Wenn die künstlerische Bewältigung gelingt, wenn die Sprachwerdung zustande kommt, wird es Menschenwelt. Weil von mir abgelöst. Paul Nizon

 

Er saß für sich allein seitab auf einer Bank. Seine Beine, die in weißen Kniesocken steckten, reichten noch nicht bis an den Boden, und wäre das Rucksäckchen, das er auf seinem Schoß umfangen hielt, nicht gewesen, ich glaube, sagte Austerlitz, ich hätte ihn nicht erkannt. So aber erkannte ich ihn, des Rucksäckchens wegen, und erinnerte mich zum erstenmal, soweit ich zurückdenken konnte, an mich selber in dem Augenblick, in dem ich begriff, daß es in diesem Wartesaal gewesen sein mußte, daß ich in England angelangt war vor mehr als einem halben Jahrhundert. W.G. Sebald

 

Ich bin mein Himmel und meine Hölle. Friedrich Schiller (Karl Moor in "Die Räuber")

 

Wie wäre dies, was wir durchlebten, so darzulegen, fragte ich mich, daß wir uns darin erkennen könnten. Peter Weiss

 

Mein Leben würde eine schöne Geschichte sein, die in dem Maße zur Wahrheit wurde, wie ich sie mir selbst erzählte. Simone de Beauvoir

 

Eine soziale Wirklichkeit, in der unsere Form des Selbst vorausgesetzt wird, stellt eine kulturelle Exzentrizität dar. Diese Exzentrizität kommt während des 12. Jahrhunderts auf. Ivan Illich

 

 

Some thirty inches from my nose

The Frontier of my Person goes

And all the untilled air between

Is untilled pagus and demesne.

 

Stranger, unless with bedroom eyes

I beckon you to fraternize

Beware of rudely crossing it

I have no gun, but I can spit.

Winston H. Auden

 

 

Glücklich sein heißt ohne Schrecken seiner selbst inne werden zu können. Walter Benjamin

 

Denn wenn es eine Sünde gegen das Leben gibt, so besteht sie vielleicht nicht so sehr darin, an ihm zu verzweifeln, als darin, auf ein anderes Leben zu hoffen und sich der unerbittlichen Größe dieses Lebens zu entziehen. Albert Camus

 

Statt einer Chronik bastelt man, wenn man jemandem seine Lebensgeschichte erzählt, eher eine Legende. Man erzählt so lange, bis man vor lauter glaubwürdigem Erzählen selbst der Illusion aufsitzt, dass das Leben zu einem abgerundeten Ende kommt, zu einer kleinen Pointe, zu einem letzten Wort, einer Moral, die selbst nach dem Tod der einstigen Existenz einen Sinn verleihen werden. Peter Nádas

 

Mein Leben war Traum; zu leben, daran dachte ich nicht - oder wagte es nicht.

Heute sind alle damit beschäftigt zu leben. Zu leben - oder wie sie leben sollen, zu träumen gilt ihnen als schlechtes Zeichen. Darum haben sie das Leben und die Welt ruiniert. Olav H. Hauge

 

In der Erinnerung geben wir unserem Leben Recht, denn wer will schon im Streit mit sich selbst Abschied nehmen. Barbara Thalheim

 

Wisse, Metamorphose ist deines Freundes Liebstes und Innerstes, seine große Hoffnung und tiefste Begierde, - Spiel der Verwandlungen, wechselnd Gesicht, wo sich der Greis zum Jüngling, zum Jüngling der Knabe wandelt, Menschenantlitz schlechthin, in dem die Züge der Lebensalter changieren, Jugend aus Alter, Alter aus Jugend magisch hervortritt: darum war's mir lieb und verwandt, sei völlig beruhigt, daß du dir's ausgedacht und zu mr kamst, mit Jugendzeichen geschmückt die Altersgestalt. Einheit, Geliebte, das Auseinander-Hervortauchen, das Sich-Vertauschen, Verwechseln der Dinge und wie das Leben jetzt ein natürlich Gesicht, jetzt ein sittliches zeigt, wie sich Vergangenheit wandelt im Gegenwärtigen, dieses zurückweist auf jenes und der Zukunft vorspielt, von der beide schon geisterhaft voll waren. Nachgefühl, Vorgefühl - Gefühl ist alles. Thomas Mann (Goethe zur Titelfigur in: Lotte in Weimar)

 

Es ist schwierig, bescheiden zu sein, wenn man so großartig ist wie ich. Muhammad Ali

 

Ich dachte über die Frische der Erinnerungen, über die bezaubernde Farbe, die sie mit der Zeit annehmen, nach, und bewundere die unwillkürliche Arbeit der Seele, die alles beseitigt und unterdrückt, was im Augenblicke des Erlebens ihren Reiz verminderte. Ich verglich diese Idealisierung, denn es ist nichts anderes mit der Wirkung der Werke der Phantasie. Der große Künstler konzentriert das Interesse, indem er die unnötigen, abstoßenden oder törichten Einzelheiten unterdrückt. Eugène Delacroix

 

Man muss nicht über das Leben nachdenken, sondern leben, mehr nicht. Ein solches Nachdenken bringt nichts, es kann zu keinem stabilen, belastbaren Ergebnis führen. Christoph Hein

 

Die 'spekulative Biographik' kann niemals den Anspruch der Wahrheit erheben, denn sie arbeitet mit den Mitteln der Vorstellungskraft. Was sie aufstellt oder konstruiert, ist nicht beweisbar. Demnach bleiben ihre Aussagen Behauptungen. Der Biograph, der sich diese Unbeweisbarkeit zunutze macht, handelt unwahrhaftig. Der Biograph, der sich nicht permanent mit der Frage konfrontiert, ob seine Aussage mit dem Diktat seiner Überzeugung übereinstimmt, handelt leichtfertig und unverantwortlich. Subjektiv richtig handelt daher nur, wer seine Vorstellungskraft unter Kontrolle seines Gewissens hält. Ob er auch objektiv richtig handelt, ist damit allerdings nicht gesagt. Denn auch das makellose Gewissen ist kein Kriterium des Denkens, und der objektive Wert der Vorstellungskraft steht und fällt mit ihrer Qualität. Wolfgang Hildesheimer

 

Wenn ihr nach meinem Tod meine Biographie schreiben wollt: Nichts leichter als das. Sie hat nur zwei Daten - das meiner Geburt und das meines Todes.

Alle Tage dazwischen gehören mir. Fernando Pessoa