Autor des eigenen Lebens werden: Die Website für Literatur und autobiografische Aufmerksamkeit.

Lesenswert:

Neue Rezension unseres Buches: Vom Helden zum Autor des eigenen Lebens

 

darin: Die fünf besten Bücher für neue Perspektiven

  1. Joseph Campbell: Der Heros in tausend Gestalten. Neuübersetzung aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Berlin: Insel Verlag 2022
  2. Döris Dörrie: «Die Heldin reist». Zürich: Diogenes 2022
  3. Max Frisch: Mein Name sei Gantenbein. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1975.
  4. Gudula Ritz-Schulte, Alfons Huckebrink: Autor des eigenen Lebens werden. Anleitung zur Selbstentwicklung. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2012
  5. Doris Dörrie: Leben, Schreiben, Atmen. Zürich: Diogenes 2019

Die Biografieempfehlung des Monats Februar 2025

Gunna Wendt: Franziska zu Reventlow. Die anmutige Rebellin. Berlin: Aufbau Taschenbuch 2011

 

Ich bildete mir immer ein, mein Leben müßte etwas fabelhaft Großes und Reiches werden, aber es geht mir alles immer in Trümmer.

(FR an der Jahreswende 1896/87)

 

25 Jahre zuvor, am 18. Mai 1871, wird Franziska zu Reventlow als fünftes von sechs Kindern geboren. Zufällig sind ihre Lebensdaten, sie stirbt am 16. Juli 1918 nach einem Fahrradunfall, mit denen des wilhelminischen Kaiserreichs identisch. Die gute alte Zeit? Nichts läge ferner, als diese Epoche, die in die Katastophe des ersten Weltkriegs mündet, unter diesem Blickwinkel zu verklären. In Franziska zu Reventlows (FR) Kindheit fallen Bismarcks Kulturkampf sowie die berüchtigten Sozialistengesetze.

Ihr Vater, Ludwig Graf zu Reventlow, ist Königlich-Preußischer Landrat. Die protestantische Adelsfamilie lebt im Schloss vor Husum, ihr vertrauter Freund ist der berühmte Schriftsteller Theodor Storm. Von Beginn an schwierig gestaltet sich Franziskas Beziehung zur Mutter, Emilie Julia Anna Luise Gräfin zu Reventlow, geb. Gräfin zu Rantzau, "eine Frau auf Noth und Tod für alle, die sie liebt." So schwämt Th. Storm in einem Brief von ihr. Franziska hingegen klagt 1890 in einem Brief an ihren Jugendfreund E. Fehling über ihre rigide Erziehung: Sie kann mich nicht leiden, seit frühester Kindheit bin ich immer ein Stiefkind gewesen. [...] Sie können sich nicht denken, wie grausam schwer diese häuslichen Verhältnisse sind, wenn man sich nach Liebe sehnt und immer zurückgestoßen wird. Eine Welt, in der die Frauen bleichsüchtige,spitzklöppelnde, interessenlose Geschöpfe sind, wie sie später in ihrem autobiografischen Roman Ellen Olestjerne konstatiert. Eine Welt, der sich FR am Ostersonntag 1893, kurz vor Tagesanbruch durch ihre Flucht aus dem Pfarrhaus in Adelby, wo ihre Eltern sie unter Kuratel gestellt haben, entzieht. Der vollkommene Bruch einer radikalen Nonkonformistin, die Flucht aus ihrem feudalen Gefängnis. Fortan führt sie in der Münchner Boheme ein Leben in Freiheit und mit einem unbedingten Glücksanspruch: Ich will überhaupt lauter Unmögliches aber lieber will ich das wollen, als mich im Möglichen schön zurechtlegen. Ein ungeheurer Anspruch. Ungebundene Liebe, erotische Abenteuer, eine freie und vor allem prekäre Schriftstellerexistenz, Wohngemeinschaft, ein Kind ohne Vater. Es gibt kaum ein Tabu, das sie nicht gebrochen hat.

Jenseits aller Klischees und Zuschreibungen, die FR im Laufe der Jahrzehnte angetragen wurden, erzählt Gunna Wendt das Leben der "anmutigen Rebellin" (Erich Mühsam) als kompromisslose Suche nach Freiheit und Glück und greift damit einen Vorschlag R.M. Rilkes auf, der bereits 1904 darauf hinweist, dass ihr Leben eins von denen ist, die erzählt werden müssen.

In beeindruckender Manier gelingt dies der Autorin mit ihrer schön illustrierten Biografie, der sie sehr passend ein Zitat der erst vor wenigen Tagen gestorbenen Marianne Faithful voranstellt: "I drink and I take drugs / I love sex and I move around a lot." Zwei Schwestern, nicht nur im Geiste, meint Alfons Huckebrink

Die Biografieempfehlung des Monats Januar 2025

Claire A. Nivola: Das blaue Herz des Planeten. Die Geschichte einer Meeresforscherin: Sylvia Earle. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 2021


Diese ausdrucks- und eindrucksvoll bebilderte Biografie für Menschen ab einem Alter von etwa 10 Jahren stellt in vielfacher Hinsicht etwas Besonderes dar.
Das Erste, was augenfällig wird, ist ihre ungewöhnliche Form als biografischer Text, untermalt wie eingebettet in wunderschöne und doch biologisch korrekte Bilder. Die Biografie nimmt ihren Ausgangspunkt an der Bedeutung des Meeres für den Planeten Erde und die Entstehung und Aufrechterhaltung des Lebens, auch des menschlichen Lebens. Dabei werden zentrale biografische Aussagen der weltberühmten Ozeanografin Sylvia Earle (SE) zitiert, die 1935 in New Jersey geboren wurde und insgesamt mehr als 7000 Stunden unter Wasser verbracht hat.

Als sie 3 Jahre alt ist, ziehen ihre Eltern auf einen alten Bauernhof, damit die 3 Kinder inmitten der Natur aufwachsen können. SE schöpft aus dieser Umgebung und nutzt die Gegebenheiten in vollen Zügen; sobald sie malen und schreiben kann, dokumentiert sie, alles, was sie sieht, und bezeichnet sich später selbst als Biologin und Naturforscherin von klein auf. Mit 12 Jahren zieht ihre Familie nach Florida um, und im Golf von Mexiko verliert sie ihr Herz an die Wasserwelt. Schon früh erhält sie Tauchausrüstungen und studiert folgerichtig Meeresbiologie und Ozeanografie. Später schließt sie sich als einzige Frau einer 70 Personen starken Expedition in den Indischen Ozean an.

Die Biografin erzählt von zahllosen Tauchgängen, besonderen Begebenheiten und Abenteuern wie Begegnungen mit Meerestieren, z.B. Buckelwalen oder Leuchttierchen oder
Leuchtalgen. Sylvia habe eine Milchstraße unter Wasser vorgefunden.

Diese Biografie wäre auch als besonderes Weihnachtsgeschenk für Kinder wie Erwachsene geeignet gewesen. Nun, das nächste Weihnachten und der nächste Geburtstag kommen bestimmt.

Eine Meisterleistung der Autorin und Malerin Claire A. Vivola, mit so wenigen Worten und prägnanten Bildern das Leben und bedeutsame Aussagen über das Schaffen dieser Meeresbiologin, über die Schönheit und Bedeutung der Ozeane zu vermitteln, findet Gudula Ritz, die in ihrer Jugend den Beruf der Ozeanografin ernsthaft für sich selbst erwogen hatte.